
Inspirierender Abend der Rehkitzrettung und der OTH
Eine ungewöhnliche Location und interessante Themen lockten trotz Fußball-Champions-League viele Interessierte in die voll besetzte „Orange Lounge“ der OTH Amberg-Weiden. Mit theoretischen und wissenschaftlichen Impulsen über Ethik und Nachhaltigkeit, Verantwortung und Tierschutz im Allgemeinen, aber auch mit ganz praktischen Aspekten der Rehkitzrettung faszinierten die Vortragenden ihre Zuhörer.
Prof. Dr. Christiane Hellbach, Vizepräsidentin der OTH, begrüßte die fast 70 Gäste in Weiden. Das Thema „Rehkitzrettung“ eröffne verschiedene Blickwinkel auf das Thema Ethik und passe wunderbar zu OTH, für die Nachhaltigkeit in allen Berei- chen im Fokus stehe. Georg Klampfl vom Institut für Nachhaltigkeit und Ethik der OTH vermittelte in seiner Einführung wissenschaftliche Impulse zu Recht und Normen, Ethik und Moral. Auf die Rehkitzrettung praktisch bezogen erläuterte er die Rollen der verschiedenen Akteure, beispielsweise der Landwirte oder der Drohnenpiloten und ihre Verantwortlichkeiten.
„Ethik und Tierschutz – Recht und richtig?!“ war der Titel des Vortrags von Dr. Constanze Erl-Höning, der Amtstierärztin in Weiden und Vorstandsmitglied der Rehkitzrettung. Sie verdeutlichte verschiedene Perspektiven des Tierschutzes in den Bereichen Nutztiere, Haustiere und Wildtiere. Denkanstöße zur Massentier- haltung, Qualzuchten oder Essgewohnheiten in verschiedenen Kulturen verdeut- lichten die Komplexität des Themas: Beispielsweise werden Meerschweinchen in Südamerika gegessen, während sie bei uns zu den beliebten Haustieren zählen. Pferde können Wildtiere, „Sportgeräte“ oder Nahrungsmittel sein und selbst Ve- ganer füttern ihren Hauskatzen zur artgemäßen Ernährung Fleisch, das meist aus der Massentierhaltung stammt. Ethisch einfach zu bewerten seien viele Sachver- halte deshalb nicht.
Christina Mathes als stellvertretende Vereinsvorsitzende brachte im Referat „Das Reh – Unscheinbar und anpassungsfähig“ dem Publikum viel Wissenswertes über die Biologie und Lebensweise des näher mit dem Elch als mit Damwild verwandten Wildtieres bei. Mit „Das Reh ist weder die Frau noch das Kind vom Rothirsch“ hatte sie die Lacher auf ihrer Seite. Ebenso handelte es sich bei dem verfilmten Kinderliebling „Bambi“ nicht um ein Rehkitz, sondern einen Weißwedelhirsch. Sie gab zudem einige wichtige Tipps unter anderem zum richtigen Verhalten bei Wildunfällen.
Den Abschluss machte Vorsitzender Stefan Radies mit der Vorstellung des Vereins. Er berichtete von den Beweggründen, die 2021 zur Vereinsgründung geführt hatten, vom Ablauf der Saison Mai/Juni und der Rettungseinsätze und den verschiedenen Aufgaben der Piloten, Spotter und Helfer. Besonders aufwändig sei die Koordination der Einsätze mit den Landwirten, Jagdpächtern und Vereinsmitgliedern, da die Landwirte bei trockenem Wetter mähen und sich deshalb kurz vor angekündigtem Regen die Einsätze häufen. An manchen Tagen sind bis zu 12 Drohnen mit Teams von je 4 Personen unterwegs. In der Saison 2024 wurden 1716 Hektar Wiesen beflogen und dabei 267 Rehkitze gerettet. Für die in wenigen Wochen beginnende Saison werden weitere Helferinnen und Helfer gesucht. Den gelungenen Abend rundete eine praktische Drohnenvorführung ab.
Hintergrund: Rehkitze kommen im Frühjahr zur Welt. Die ersten Lebenswochen verbringen sie meist gut versteckt in hohem Gras, während die Mütter auf Futtersuche sind. In fast allen Wiesen sind Rehkitze versteckt, insbesondere in der Nähe von Wäldern. Bei Gefahren laufen sie nicht davon, sondern ducken sich instinktiv noch tiefer in die Wiese. Für den Schutz vor Fressfeinden ist das sinnvoll, denn sie verfügen noch über keinen Eigengeruch und werden so meist nicht gefunden. Dieser Instinkt hat aber schreckliche Folgen, wenn die Landwirte dann das erste Mal mit ihren riesigen Maschinen mähen. Die Rehkitze werden übermäht und sind entweder gleich tot oder sie sind schwerverletzt (oft abgemähte Beine) und sterben dann grausam. Im Gebiet des Landkreises NEW und der Stadt Weiden würden der Wiesenmahd hunderte Rehkitze in diesem kurzen Zeitraum im Jahr zum Opfer fallen. Bei einer späteren Mahd ab Juli besteht das Problem meist nicht mehr, weil die Rehe dann groß genug sind und selbst flüchten. Um den Tod der Rehkitze zu verhindern, sind Landwirte verpflichtet, ihre Wiesen vor der Mahd abzusuchen oder andere geeignete Maßnahmen zu treffen. Obwohl das auch im wirtschaftlichen Interesse der Landwirte ist, da Tierkadaver das Gras als Futtermittel gefährlich verunreinigen, ist die Suche ohne viele Helfer und Drohnen mit Wärmebildkamera nicht effektiv und somit ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Die Wärmebilddrohnen erkennen den Temperaturunterschied der warmen Tierkörper im Vergleich zur kühleren Umgebung. Auch deshalb finden die Suchaktionen meist in den sehr frühen Morgenstunden statt. Die sogenannten „Spotter“ erkennen die Kitze auf dem Monitor und lotsen die „Helfer“ per Funk zu den Tieren. Diese Helfer tragen die Rehkitze aus der Wiese und sichern sie in Körben bis nach dem Mähen.
Im Jahr 2021 gründete sich im Landkreis Neustadt an der Waldnaab und der Stadt Weiden der neue Verein: Als „Rehkitzrettung NEW-WEN e. V.“ fanden sich engagierter Tierschützer, Drohnenpiloten, Jäger, Landwirte und andere Naturfreunde zusammen, um Rehkitze und andere Wildtiere vor einem grausamen Tod zu bewahren. Während andere Vereine mit Mitgliederschwund zu kämpfen haben, scheinen die Initiatoren hier einen Nerv getroffen zu haben, denn der junge Verein zählt bereits etwa 170 Mitglieder, darunter auch Organisationen wie der Maschinenring, der Bauernverband, der Naturpark Nördlicher Oberpfälzer Wald, der Landkreis NEW und die Stadt Weiden. Weitere Infos, Mitgliedsanträge usw. unter www.rehkitzrettung-new-wen.de bzw. info@rehkitzrettung-new-wen.de
Autor/Bildrechte: Claudia Prößl